Echtes Blind-Cubing!

Was sind das für Würfel?

Echte Blind-Würfel. Rechts im Bild ein Touch der Marke Rubik’s und die anderen beiden sind mit Teilen aus einem 3D-Drucker selbst gebaut.

Ist sowas bei einem Wettbewerb überhaupt erlaubt? Die Antwortet lautet JA, falls man tatsächlich blind bzw. sehr stark seheingeschränkt ist.

Bei der Rhein-Neckar Beginners 2024 konnte ich mich damit in der Praxis etwas genauer beschäftigen. Dort war Sandra als blinde Teilnehmerin dabei. Wie Sandra zum cuben kam, kann man bei Roland nachlesen „Blind cuben mit Sandra“. Im Freshcuber-Blog gibt es auch Videos von Sandras Teilnahme.

Die WCA sieht nicht nur für Blinde, sondern auch für Menschen die ggf. mit dem Timer-Equipment nicht umgehen können Ausnahmen vor. Ich verweise hier nur kurz und knapp auf Regel 2s bzw. 2s1 der WCA Regeln, welche besondere Umstände für Teilnehmer mit Einschränkungen regeln (in den englischen Regulations „disability“ genannt) sowie in Sandras Fall auf Regel 3d1a, welche für Menschen mit Seheinschränkungen explizit Puzzle mit Texturen erlaubt.

Am Ende des Artikels findet ihr von Annika Stein, welche WCA Delegate beim Wettkampf war, ein paar weiterführende Informationen zum Regelwerk und dem Prozedere.

Kurz und knapp: Blinde Menschen dürfen Würfel verwenden, deren Flächen zwar farbig sein müssen, die aber zusätzlich mit Kreisen, Dreiecken, X, … ausgestattet sind. Die farbigen Flächen müssen hierbei vorhanden sein, damit a) die Scrambler den Würfel auch scramblen können und ihren Scramble überprüfen können und b) damit der Judge auch einfach entscheiden kann, ob der Würfel gelöst ist.

Sandra verwendet übrigens keinen Rubik’s sondern einen echten Speedcube. Neben dem 3×3 besitzt sie noch 4×4, 5×5, Pyraminx und einen Megaminx. Diese hat ihr Freund teils mit Elementen aus dem 3D Drucker, und teils mit Deko- / Bastelmaterialen aus dem Bastelladen beklebt. Da sind Sternchen dabei und Mondsicheln und alles Mögliche andere. Erst gestern kam in der WhatsApp-Gruppe der Freshcuber-Freunde die Frage nach geeigneten 6×6 und 7×7 Würfeln die mit eigenen Tiles beklebt werden können.

Update vom 30.04.2024, Sandra hat mir freundlicherweise ein Bild der aktuellen Blind-Cube zur Verfügung gestellt

Der für mich interessanteste Teil war aber natürlich die eigentliche Teilnahme von Sandra.

Sie saß bei uns am „Alt-Cuber-Tisch“ und vor der Runde kamen die beiden Delegates Laura Holzhauer und Annika Stein zu Sandra, um den genauen Ablauf zu klären. Ergebnis war, dass ihre Solves ganz normal absolvieren kann und es nur hilfreich wäre, einen festen Platz an einem der Tische einzunehmen, und nicht, wie sonst üblich, nach jedem Solve zurück in die Waiting-Area zu gehen. Weiter wurde vorgeschlagen einen festen Judge abzustellen. Hierfür habe ich mich bereiterklärt. Der feste Judge hat sich im Nachgang als sehr sinnvoll herausgestellt. Dazu aber gleich mehr.

Sandra ging dann, geführt von ihrem Freund, zu einem Tisch in der letzten Reihe. Dort habe ich ihr erklärt, was sie so vor sich auf dem Tisch hat, und Sandra hat den Timer, den Tisch, die Matte erfühlt und den Timer ein paar mal ausprobiert. Insbesondere musste man die Wartezeit, bis der Time von rotem auf grünes Licht umschlägt mehrfach probieren. Sandra musste ein Gespür für diese Zeit bekommen, da sie das grüne Licht ja nicht sehen könnte.

Dann kam der Würfel in seinem Cover und wir haben noch besprochen wie wir das Handhaben. Ich habe das Cover gehalten und Sandra hat dann die Position des Covers erfühlt und sich so eingeprägt.

Als sie bereit war, habe ich wie üblich die Stoppuhr in die Hand genommen, eine Hand aufs Cover und gefragt „Bist Du bereit?“. Es kam wie üblich das JA und ich habe das Cover gelüftet und die Stoppuhr gestartet. Tja und dann? Dann nichts passiert…….

Cover wieder drauf und Sandra gesagt, dass wird abbrechen müssen und erst den Ablauf nochmal klären müssen. Was war passiert? Sandra hat natürlich nicht gesehen, dass das Cover gelüftet wurde!

Ein Extra war zum Glück nicht notwendig, da Sandra den Würfel ja nicht gesehen hatte.

Wir haben dann vereinbart, dass ich nach dem Lüften des Covers sage „Cover ist weg“. Dies hat beim 2. Anlauf auch reibungslos funktioniert und Sandra hat eine 1:55,25 hingelegt.

Dann ergab sich die nächste Frage, für die ich Laura als Delegate rufen musste. Wie unterschreibt Sandra das Scoresheet? Die Lösung war zum Glück einfach: Ihr Freund – der die ganze Zeit hinter ihr stehen bleiben durfte und gefilmt hat – las ihr vor, was auf dem Scoresheet stand, hat ihr bestätigt, dass die Zeit korrekt eingetragen ist, und Sandra hat ihm daraufhin sozusagen „Vollmacht“ gegeben, in ihrem Namen zu unterschreiben.

Während des ersten Solves hatten dann die ersten Leute aus der vorderen Zuschauerreihe schon bemerkt, dass hier etwas nicht ganz Alltägliches vor sich geht. Die ersten 2-3 Leute haben angefangen genauer hinzuschauen und mit Fragezeichen in den Augen versucht zu erkennen, was genau da vor sich geht. Es wurde recht schnell bemerkt, dass Sandra gar nicht auf den Würfel schaut, sondern mit den Fingern immer wieder rund herum fühlt.

So ging es Solve für Solve weiter. Beim 2. Solve habe ich dann – nach fast 30 Wettbewerben als Judge – das erste Mal eine Zeitstrafe von +2 Sekunden für die Überziehung der Inspektionszeit vergeben müssen. Leider war am Ende auch noch ein Layer verdreht, so dass es eine +4 wurde. War dann trotzdem eine 1:37.61!

Ab dem 3. Solve hatten auch die ersten Speedcuber, die nicht gerade in derselben Runde waren, bemerkt, was vor sich ging und haben zugeschaut und in Sandras Richtung bewundern genickt bzw. mit „Daumen hoch“ ihren Respekt gezeigt, als sie die Zeit auf dem Display gesehen haben.

Ihre 1:19.46 im 5. Solve ist eine sehr, sehr beeindruckende Zeit! Genauso wie der Ao5 von 1:45,34! Sandra war damit auf dem 119. Platz von 121 Teilnehmern.

Meinen tiefsten Respekt Sandra! Ich selbst habe es nach etwas Training hinbekommen, meine Zeit mit dem Touch-Cube auf knapp unter 3 Minuten zu drücken. Bis 1:19 wäre aber noch ein laaaanger Weg.

Für die nächste Teilnahme von Sandra sollte mit dem Judge vereinbart werden, das Sandra vor dem Solve die Hände auf die Matte legt, und mit den Fingern das Cubecover seitlich berührt. So spürt sie, wenn das Cover hoch geht und hat sofort den Würfel zwischen ihren Händen liegen! Das vereinfacht die Sache nochmal!

Was sagen die WCA Regeln und wie sollte man sich in so einem Fall anmelden?

Hier noch einige Hinweise für die Teilnahme von Menschen mit Beeinträchtigungen aus Sicht der WCA. Diesen Teil hat mir freundlicherweise Annika Stein formuliert und auch ihre Eindrücke der Teilnahme von Sandra zusammengefasst. Vielen lieben Dank Annika!

Aus Delegate- bzw. Orga-Team-Perspektive ist es am besten, so früh wie möglich anzukündigen, dass evtl. besondere Umstände vorliegen, die sich auf die Durchführung der Versuche auswirken könnten.

Orga-Teams möchten gerne wissen, benötigt man ein spezielles Setup, speziell geschulte Judges, anderes Equipment, anderes Judging System, ist eine besondere Umgebung notwendig, sollen Versuche zu einem anderen als dem zunächst vorgesehen Zeitpunkt stattfinden, sollen die Scrambler speziell instruiert werden, wie ein andersartiger Würfel zu scramblen ist usw.

Delegates müssen dann noch sicherstellen, dass weiterhin das Regelwerk bzw. die Richtlinien eingehalten werden. Tatsächlich gibt es dort eine Zwei-Wochen-Frist vor dem Wettbewerb, wenn spezielle (engl.) „accomodations“ nötig wären, die das Befolgen der Regeln in gewissem Maße unmöglich machen würden. Delegates würden dann die Anfrage an das WCA Regulations Committee (WRC) weitergeben, selbst entscheiden dürfen wir an dieser Stelle nicht. Die WRC Mitglieder kümmern sich um die Einhaltung und Formulierung der Regeln und spielen immer dann eine Rolle, wenn es um solche Entscheidungen geht, und beantworten dann auch solche Fragen verbindlich. Weiterhin müssen wir solche Besonderheiten in unserem Bericht nach dem Wettbewerb beschreiben. Wer sich diesbezüglich informieren möchte, der kann einiges rund um das Thema „accomodations“ in dem kombinierten Regel-/Richtlinien-Dokument nachlesen. Die Hauptregel ist diese: WCA Regulation 2s

Im konkreten Fall hat die Kommunikation mit der Teilnehmerin aber bereits gezeigt, dass ausschließlich ihr Würfel speziell texturiert sein wird, aber ansonsten keine besonderen Bedingungen gelten. Als ich persönlich nämlich erst am Tag vor Beginn des Wettbewerbs von Sandras Situation erfahren hatte, musste ich schnell herausfinden, was bereits abgesprochen und geklärt ist, oder ob noch Entscheidungen und spezielle Vorkehrungen ausstehen. Da es recht unerwartet kam, war ich zunächst auch ein bisschen unsicher, ob ich die Nachrichten u.a. von Roland Frisch als Anfrage von „special accommodation“ einschätzen muss oder ob es doch vorrangig „nur“ um den anderen Würfel geht.

Zum Glück war alles einfacher als zunächst gedacht, die Regeln konnten nach wie vor befolgt werden und so entfiel dann die Bürokratie, was die Situation für alle erleichtert hat. So funktionierte ihre Teilnahme mithilfe dieser Regel: WCA Regulation 3d1a) „textured puzzles“ Dementsprechend war dann doch alles recht simpel umzusetzen und wir haben uns sehr über die großartigen Ergebnisse gefreut!

Ich fand das faszinierend und habe dann spontan den Vorschlag vor der Newcomer-Ehrung gemacht, dass man sie doch speziell für die tolle Leistung ehren sollte. Dem Applaus zufolge sahen das die anderen Anwesenden auch so!

3 Kommentare zu „Echtes Blind-Cubing!“

    1. Sandra hat sich vorher in der Freshcuber Gruppe nach diversen Megaminxen erkundigt und einen gewählt der keine Ridges hat.

      Die Teile kommen teils aus dem Restposten-Billigmarkt. Kleine Halbkreis Perlen, Dreiecke usw. die eigentlich als Basteldeko gedacht ist.

      Für den 4×4 wurden die Tiles soweit ich weiß im 3D Drucker gedruckt.

      Ich bekomme noch Fotos von Sandras aktueller Sammlung die ich hier dann als Update rein packe.

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      1. Bei den Würfeln höherer Ordnung sehe ich es eher unkritisch – bis auf die Tatsache, dass moderne Würfel immer kleiner werden, und damit die inneren Flächen winzig sind.

        Beim Megaminx sehe ich die Herausforderung darin, dass einerseits zwölf unterschiedliche Muster fühlbar sein müssen, und andererseits der Trend zu eher dreieckigen Kanten statt trapezförmigen Kanten geht. Der MoYu MeiLong hat durch die sphärischen Schnitte fast rechteckige Kantenteile, und hätte damit die größte Klebefläche.

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