Zauberwürfel und Musik

In unserer WhatsApp-Gruppe1 haben wir neulich diskutiert, wie vielfältig die Verbindungen vom Zauberwürfel mit anderen Gebieten sind: um seine Grundlagen zu verstehen, benötigt man die Mathematik (Gruppentheorie), seine Steine verhalten sich wie Elementarteilchen2 (Quarks, Fermionen, Bosonen) in der Physik und Chemie. Speedcuber messen sich in sportlichen Wettkämpfen gegen die Uhr, wenden dabei Algorithmen an wie in der Informatik, benutzen ausschließlich englische Fachausdrücke und bedienen sich beim Blindlösen der Methoden der Mnemonik (Gedächtnis-Wissenschaft). Ohne die Ingenieurskunst gäbe es den Zauberwürfel nicht: von Rubiks3 und Ishiges4 genialer Idee, den Würfel mechanisch so zu konstruieren, dass er beim Drehen zusammenhält und nicht auseinander fällt (Singmaster unterschied deshalb zwischen dem grundsätzlichen mathematischen Rätsel und dem mechanischen Rätsel, dass man beim Würfel lösen muss) bis hin zu den „neuzeitlichen“ Optimierungen für das Speedcuben, wie abgerundeten Ecken (zur Vermeidung von Verkantungen), Federn, Magneten, Schmiermittel und bis zu 1.296 individuellen Einstellmöglichkeiten beim neuesten Zauberwürfelmodell eines führenden Herstellers. So konnte der Weltrekord im Schnelllösen von 22,95s 1982 (Minh Tai) auf 3,13s 2023 (Max Park) gedrückt werden.

Aber auch in der Kunst und Unterhaltung sind Cuber aktiv, bestes Beispiel ist unser Mosaikkünstler Lars Krökel5, der inzwischen mit einer recht stattlichen Anzahl von Fernsehauftritten und Mosaikpräsentationen aufwarten kann. Nun will ich aber zur eigentlichen Überschrift des Artikels kommen, zur Verbindung von Zauberwürfeln und Musik. Hier gibt es erstaunliche Parallelen. Erst einmal spielen gefühlt viele Cuber auch ein Musikinstrument. Eine Blitzumfrage in der WhatsApp-Gruppe brachte acht Klavierspieler, je zwei Saxophonisten, Gitarristen, Schlagzeuger, Geiger sowie ein Akkordeon, eine Querflöte und eine Trompete zum Vorschein. Bei 147 Gruppenmitgliedern sind das 12,9% Musiker (wenn sich alle an der Umfrage beteiligt haben), das entspricht genau der Statistik des Bundesmusikverbandes6 von 13% der Deutschen. Also sind Cuber wohl doch nicht musikalischer als der Durchschnitt. Eine faszinierende Gemeinsamkeit von Speedcubern und Musikern ist aber das sogenannte Muskelgedächtnis7 oder motorische Gedächtnis. Hier erinnern sich die Finger (oder eine bestimmte Hirnregion) bei häufiger Wiederholung eines Algorithmus beim Würfeldrehen oder beim Auswendigspielen eines Klavierstücks irgendwann alleine an die Bewegungen, die sie tun müssen. Man darf nur nicht zwischendurch rauskommen durch eine klemmende Drehung beim Würfel oder einen falschen Ton beim Musizieren, wenn sich nämlich das bewusste Gehirn dann wieder einschaltet, weiß ich nicht mehr auswendig, wie es an dieser Stelle weiter geht. Ein bekanntes Beispiel für das Muskelgedächtnis ist übrigens das Fahrradfahren, einmal gelernt vergisst man es sein ganzes Leben nicht, auch nach einer langen Pause nicht. Beim Zauberwürfeln oder Klavierspielen ist das leider anders, einmal gelernte Algorithmen oder Musikstücke verlernt man schnell wieder, wenn man sie nicht regelmäßig übt. Allerdings habe ich während meiner 35 Jahre Würfelpause8 (zwischen dem Hype der Achtziger und der Coronophase 2020) auch einen Algorithmus behalten, und zwar das Einbauen der Kantensteine aus der Anfängerlösung in der zweiten Ebene.

Beim Speedcuben gibt es Finger Tricks, das sind bestimmte Haltungen des Würfels, mit denen man bestimmte Algorithmen oder Drehungen besonders schnell ausführen kann, ohne zeitraubendes Umgreifen oder Verknoten der Finger. Diese Finger Tricks sind Vorschläge, individuell können sie einem nutzen oder auch nicht. Das Äquivalent in der Musik sind Fingersätze (oder auch Fußsätze bei der Orgel), bei denen vorgeschlagen wird, mit welchem Finger man welchen Ton einer bestimmten Tonfolge spielt oder greift. Auch hier passt das nicht für jeden und hängt auch mit der Größe der Hand/Finger zusammen usw.

Piano Man

Dann steht man irgendwann (naja, meist eigentlich gleich am Anfang) vor der Frage, wie man eine Tonfolge oder eine Zugfolge aufschreiben kann, um sie jemand anderem mitzuteilen bzw. sie zu lernen. Für die Musik wurden dazu Noten erfunden, und da die Musikinstrumente unterschiedlich sind, gibt es für viele Instrumente eigene Notenschlüssel (Violinschlüssel, Bassschlüssel, Alt-/Bratschenschlüssel usw.), meist abhängig vom Bereich der Tonhöhen des Instruments. Beim Zauberwürfel gibt es die „Notation“, alleine das Wort stammt offensichtlich von der Musiknote ab. Auch bei den Würfeln gibt es für manche Puzzle wie den Square-1 eine besondere Notation, für manche Non-WCA-Puzzle oft noch gar keine einheitlich definierte (z.B. die Jumble-Züge beim Helikopterwürfel). Meine Blog-Artikel zu solchen Puzzlen enthalten dann oft den Passus: „Zuerst müssen wir uns auf eine Notation einigen“. Die bekanntesten Schöpfer einer Notation sind David Singmaster für den Zauberwürfel und Jaap Scherphuis für den Square-1.

1981 verglich Douglas R. Hofstadter in seinem Scientific-American-Artikel zum Zauberwürfel den Stanford „cubemeister“ Jim McDonald, der den Zauberwürfel intuitiv löste und bei jeder Drehung sah und verstand, warum er sie drehte, mit einem erfahrenen, improvisierenden Musiker (der sich im Gegensatz zum Anfänger nicht die Noten mühsam merken muss). Nach der Beschreibung verwendete McDonald die intuitive Singmaster-Methode9, die hier im Blog schon vorgestellt wurde und die Singmaster 1982 in seinem Buch „Handbook of Cubik Math“ beschrieben hat. Beides, die musikalische Improvisation und die zauberwürflerische Intuition bauen auf bestimmten Regeln oder Mustern auf. In der Musik sind es die Harmonien und Licks10 (Bausteine und Zitate von anderen Musikern oder aus der eigenen Erfahrung), beim intuitiven Lösen des Zauberwürfel die Keyhole-Methode für die Lösung der zweiten Ebene und die Kommtutatoren für die letzten fünf Ecken. Beiden gemeinsam: man versteht, was man gerade tut und das ist sehr erfüllend.

Am Schluss noch ein paar Gemeinsamkeiten, die weit hergeholt erscheinen mögen, aber mir interessant erscheinen. Mein Lieblingsthema Kommutatoren beim Würfel baut auf Dreierzyklen auf, die aus jeweils zwei Paartauschen bestehen, für mich DAS Grundprinzip. Ein Grundprinzip der Musik sind die Harmonien, die bestehen aus Dreiklängen. Ein Dreiklang wiederum ist aus zwei Tonintervallen aufgebaut, in der Regel eine kleine und eine große Terz. Erst die große, dann die kleine Terz (z.B. ceg) ist ein Dur-Dreiklang und wirkt fröhlich, erst die kleine und dann die große Terz (z.B. ace) dagegen ein Moll-Akkord, der traurig wirkt. Beim Würfel gibt es auch Stimmungen (warm/kalt), die sich in den Farben ausdrücken (rot, orange, gelb: warm/fire; weiß, blau, grün: kalt/ice). Das Farbschema Fire & Ice gruppiert deshalb diese drei Farben jeweils nebeneinander und nicht gegenüber (rot/orange, blau/grün) wie beim Standard-Farbschema. Und letztlich mein anderes Lieblingsthema Parität: gibt es die auch in der Musik? Ich glaube schon. Parität heißt ja, dass eine ungeradzahlige Anzahl von etwas ungewöhnlich ist: beim Würfel die Zahl der Paartausche, die selten einzeln vorkommen, in der Musik ist es der 3/4-Takt, der ungewöhnlich wirkt. Warum? Eine gerade Anzahl von Schlägen im Takt passt viel besser zur menschlichen Bewegung auf zwei Beinen, sei es beim Marschieren (Marschmusik) oder beim Tanzen (Discofox oder fast alle Pop- und Rock-Songs), alles ist auf geradzahligen Schlagzahlen aufgebaut. Hätte der Mensch drei Beine, wäre das vermutlich anders. Beim Walzer (egal ob schnell oder langsam) kommen wir beim Laufen oder Tanzen jedoch leicht durcheinander, der ungeradzahlige 3/4-Takt erfordert hier eine erhöhte Aufmerksamkeit.

  1. https://freshcuber.wordpress.com/2022/02/22/freshcubers-freunde/ ↩︎
  2. https://cubingfreunde.wordpress.com/2023/10/03/die-naturgesetze-von-drehpuzzeln/ ↩︎
  3. https://cubingfreunde.wordpress.com/?s=cubed ↩︎
  4. https://cubingfreunde.wordpress.com/2023/09/03/terutoshi-ishige-erfinder-des-zauberwurfels/ ↩︎
  5. https://www.instagram.com/kroekeldil/ ↩︎
  6. https://bundesmusikverband.de/zahlen/ ↩︎
  7. https://utopia.de/ratgeber/muskelgedaechtnis-was-ist-dran-und-welche-vorteile-bringt-es/ ↩︎
  8. https://cubingfreunde.wordpress.com/2022/10/01/autor-tim/ ↩︎
  9. https://cubingfreunde.wordpress.com/2023/04/28/die-optimierte-singmaster-methode/ ↩︎
  10. https://de.wikipedia.org/wiki/Improvisation_(Musik) ↩︎

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